Klasse! Musik aus 271 Instrumenten
von Birgit Bruck
Ein großes Konzert mit 1000 Gästen in den Zuschauerreihen: Für fast 300 Brandenburger Grundschüler wird dieser Traum am Wochenende wahr. In Boitzenburg formiert sich gerade ein Blasorchester der Superlative.
Boitzenburg. Noch klingt es ein bisschen schräg, was da aus dem Boitzenburger Marstall und dem Speisesaal unter dem Dach des Schlosses tönt. Bisher haben die jungen Blasmusiker an ihren 13 Grundschulen des Landes geprobt. Klassenweise. Jetzt sollen sie ein großes Orchester bilden. Ein sehr großes. 271 Schüler der vierten bis sechsten Klassen zwischen Lausitz und Uckermark sind seit Mittwoch im Rahmen der mittlerweile vierten landesweiten „Klasse-Musik-Fahrt“ in Boitzenburg. Im Gepäck haben die Neun- bis Zwölfjährigen Notenheft, Querflöte und Posaune, Saxofon und Tuba. Knapp vier Tage haben sie und ihre Betreuer Zeit, um ein großes Konzert vorzubereiten.
Immer wieder gibt Musiklehrer Gary Hirche im Saal des Marstalls den Takt vor: „Ihr seid hundert, am Sonnabend dann fast dreihundert. Aber der Einsatz muss sich anhören, als ob da ein einziger spielt.“ Beim vierten Versuch klappt es. Gegenüber im Schloss steht Michael Dittrich, der stellvertretende Direktor des Cottbusser Konservatoriums, vor den anderen Bläsern. Bei den ersten glühen die Wangen vor Anstrengung. Fünf Stunden Proben sind ungewohnt.
Die jungen Musiker nehmen allesamt am Programm „Klasse!Musik in Brandenburg“ teil. Vor gut einem Jahr haben sie angefangen, ein Blasinstrument zu lernen. Für alle sind die drei Stunden Unterricht pro Woche, die in der Schule stattfinden, kostenlos. Ebenso die Instrumente, die sie für die Ausbildung leihweise erhalten haben. Der Verband der Musik- und Kunstschulen Brandenburg (VdMK) hatte die Instrumente 2009 mit zwei Millionen Euro aus dem „Vermögen von Parteien und Massenorganisationen der DDR“ gekauft. Seit 2010 fließen jedes Jahr 1,3 Millionen Euro Landesmittel in das Förderprogramm „Musische Bildung für alle“. „Unser Ziel ist, jedem Kind unabhängig von seiner sozialen Herkunft den Zugang zu musikalischer Bildung zu ermöglichen“, sagt Sandra Rechlin vom VdMK. Und ergänzt – mit Blick in den vom Speise- zum Probensaal umfunktionierten Raum unter dem Dach des Boitzenburger Schlosses: „Es funktioniert.“
Das hat auch eine Studie ergeben, in der das Zentrum für Kulturforschung die ersten Ergebnisse dieses Programms untersucht hat. Danach steht fest, dass eine möglichst frühe, kontinuierliche Förderung in den Kitas und Grundschulen die Bildungschancen für alle Kinder erheblich verbessert und sozial benachteiligte Kinder erreicht, die sonst über das Elternhaus nicht den Zugang zu musischer Bildung bekommen hätten. Fast alle Eltern wünschen sich eine Fortführung der musischen Förderung ihrer Kinder auch nach diesem Programm. In ländlichen Regionen wie der Uckermark könnten davon nicht nur die Musikschulen, sondern auch Spielmannszüge, Orchester und Chöre profitieren, die oftmals mit Nachwuchssorgen zu kämpfen haben. Denn die Untersuchung hat auch ergeben, dass fast die Hälfte aller Kinder vom Land über keinerlei musikalische Vorkenntnisse verfügten.
Uckermärkische Bläserklassen im Rahmen des „Klasse!Musik“-Projekts gibt es an der Bertolt-Brecht-Schule in Schwedt und an der Puschkin-Schule in Boitzenburg. Beide sind im Probenlager und auch beim großen Finale am Sonnabend in Potsdam mit dabei. Dann wird aus den zwei „Teilorchestern“, die es in Boitzenburg aus räumlichen Gründen noch geben muss, endlich ein großes Orchester. Das vor 1000 Gästen in der MBS-Arena sein bisher größtes Konzert gibt. Vielleicht mit ein paar schrägen Tönen und vielleicht nicht immer mit einem Einsatz, der sich anhört, als ob da nur einer spielt. Aber auf alle Fälle mit ganz viel Spaß und Leidenschaft.